Zurück von der Iguazu-Reise ging es direkt in die Prüfungsphase. Denn das ist einer der größten Unterschiede mit meinem Studium in Deutschland. In jedem Fach gibt es hier eine Midtermprüfung,
also eine Zwischenprüfung. Da ich keine Ahnung hatte, was mich erwartet, verbrachte ich für die beiden vermeintlich einfachen Kurse „Intercultural Communication“ und „Socialidad Civil Argentina“
doch schon einige Zeit mit lernen. Der größte Unterschied allerdings war für mich, dass ich lesen, auswendiglernen und nicht rechnen musste. Dazu hat jeder Dozent in seine eigene Dropbox je 10-20
Dokumente, je bis zu 200 Seiten geladen. Zu sortieren, was Prüfungsstoff ist und was man aus Eigeninteresse lesen kann, war gar nicht so klar zu unterscheiden. Eine Übersicht in den
Onlinearchiven gab es nicht, die waren meist willkürlich zusammengewürfelt aus gescannten Büchern, Zeitungsartikeln und Powerpointpräsentationen.
Interessant waren die beiden Fächer allemal. In Intercultural Communication lernten wir Faktoren und Einflüsse verschiedener Kulturen, Theoreme und Studien dazu. Warum ist es so schwierig im
Auslandssemester Freundschaften mit Einheimischen zu schließen und warum wir uns das trotzdem alle wünschen. Wie Studenten mit „weak ties“ also oberflächlichen Beziehungen zu Host-Internationals
Vorteile haben und was für Druck verschiedene Kulturen auf uns ausüben.
Zum Inhalt gehörte auch eine Analyse verschiedener Kulturen unter Aspekten wie „Kontakt“, „Powerdistanz“ – also Demokratie, „Unsicherheit“ und vieles mehr. Erst hier wurde mir einiges über
Deutschland klar. Wir deutschen leben in einer „Low Context“ Kultur, was soviel heißt, wir sagen was wir denken. Wir sagen Feiern ab, wenn wir nicht kommen, wir sagen in Diskussionen, wenn wir
keine Ahnung haben und reden nicht um den heißen Brei herum. Hier in Argentinien dagegen muss man viel interpretieren. Dir sagt keiner, wenn er dich nicht mag, keine Lust hat zu deiner Feier zu
kommen oder über ein politisches Thema überhaupt keine Informationen hat. Die Kommunikation findet also oft implizit statt. Ein weiterer Themenkomplex war, der Prozess der „Acculturation“ mit
Kulturschock und möglichen Folgen von Heimweh. Ein sehr interessanter Kurs mit einer motivierten Dozentin, die auch schon in der Schweiz gelebt hatte. Ein weiterer Satz, dem ich Bedeutung
zufließen lassen will, ist „Sag mir mit wem du umgehst, und ich sage dir wer du bist“, dieser Satz wurde als lateinamerikanisches Sprichwort dargestellt, ich kannte ihn aber schon gut von meiner
Oma. (Liebe Grüße Oma!!) Die Prüfung lief super, auch wenn ich recht nervös war und nach einer Woche war klar, dass ich mit der Bestnote 10 bestanden habe. Die Benotung ist hier gefühlt übrigens
auch ziemlich willkürlich, es gibt keine Punkte, keine Notenschlüssel, sondern mehr Pi-mal-Daumen.
Für die zweite Zwischenprüfung in der Woche, war ich schon deutlich unsicherer, da die Dozentin das Thema nur sehr vage eingeschränkt hatte. Im Prinzip ging es um die Milleniumsziele der UNO
(https://de.wikipedia.org/wiki/Millenniums-Entwicklungsziele) und die später verabschiedeten „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Ziele_f%C3%BCr_nachhaltige_Entwicklung). Alles schon einmal gehört, wirklich
damit beschäftig hatte ich mich zuvor jedoch nicht damit. Desweiteren mussten wir noch einen Zeitungsartikel lesen und verstehen über Sozialprojekte in Argentinien. Die Prüfung war nur
Multiplechoice, dennoch sehr komisch. Den UNO-Teil hatte ich schnell und gut durch, die Fragen zu dem Zeitungsartikel waren schon sehr speziell. Die Prüfung war schon nach 10-15 Minuten fertig
und danach waren wir frei. Auch sehr ungewohnt. Am Ende habe ich eine 8 erhalten, nicht schlecht, aber auch nicht ganz zufrieden. Was ich noch festgestellt habe, ist, dass wir deutschen immer und
überall die englischen Abkürzungen verwenden, Spanier jedoch ihre eigenen Abkürzungen verwenden. AIDS heißt z.B. auf Spanisch SIDA, HIV heißt VIH und so weiter…
Für das Seminar in der Villa musste ich einen zweiseitigen Bericht auf Spanisch schreiben über meine Erfahrungen, die Erfahrungen der anderen und wie ich mir ein finales Projekt vorstelle. Ich
habe mich festgelegt – da es einen persönlichen Bezug zu mir hat – über die Erfahrung und Bildungschancen in verschiedenen Ländern einen Vortrag zu halten. Auf Deutsch, wenn ich zurück nach
Deutschland komme. Bildung ist das höchste Gut, Bildung gibt uns Chancen, Arbeit und Stabilität. Bildung ist verdammt wichtig! Diesen Stellenwert habe ich hier auch nochmal kennengelernt.
Normalerweise freute ich mich immer, wenn ein Unterricht, eine Vorlesung o.ä. ausfiel, aber es sollte andersherum sein, wir sollten protestieren, wenn der Unterricht ausfällt! In meinem Seminar
habe ich schon mit verschiedenen Schülern gearbeitet, alle aus der unteren Bildungsschicht. Teilweise war ich echt am verzweifeln, wie ich die Dinge noch erklären könnte, wie ich andere
Methodiken anwenden konnte und war am Ende der zwei Stunden normalerweise zufrieden, bis ich die Woche drauf exakt das gleiche noch dreimal erklären musste. Ich beschränkte mich v.a. auf Schüler
mit Problemen in Mathe und Englisch, das Niveau war erschreckend schwach.
Sophia, eine deutsche aus unserer Freundesgruppe hatte Geburtstag und das muss natürlich gefeiert werden! Süße 20… An jenem Abend habe ich aus reiner Unlust keinen Alkohol konsumiert und es wurde die schönste Feier bis jetzt. Jedoch musste ich mich die ganze Zeit erklären, warum ich keinen Alkohol trinke usw. Das brachte mich auf die Frage: „Warum ist man in dieser Welt/dieser Gesellschaft komisch, wenn man die Droge Alkohol nicht nimmt, bei anderen Drogen ist es ja auch anderesherum.“ Warum ist Alkohol gesellschaftlich so anerkannt bzw. sogar ein gewisser Zwang/Druck/Gruppenzwang da. Eine Flüssigkeit, die alles schadet. Die Feier und die Nacht wurde auf jeden Fall in einer Diskothek noch länger. Vor sechs war ich nicht daheim (für Argentinier noch sehr früh!!), allerdings komplett nüchtern, was ich mir selbst v.a. am nächsten Tag dankte. Am Tag darauf, ihrem echten Geburtstag, überraschten wir sie alle in einem Lokal, an das sie ihr Freund hingelotst hatte. Es gab selbstgemacht italienische Pasta.
Kurz darauf kam mich Fabian besuchen, ein Studienfreund aus Erlangen, der parallel sein Austauschsemester in Brasilien (Curitiba) macht. Ich wollte ihn eigentlich am Flughafen überraschen, habe
jedoch gefailt. Ich bin zu spät angekommen, da ich seine Ankunftszeit nicht wusste, sondern nur seine Herkunft. Bei meiner Recherche bin ich natürlich von dem Direktflug ausgegangen, er hatte
jedoch einen Verbindungsflug genommen. So hatten wir uns leider verpasst am Flughafen. Dennoch hat er es allein ohne Hilfe und Internet zu meiner Wohnungstür geschafft, wo er nach einer kurzen
Weile warten schon auf mich traf
😊 Aber das ist natürlich mal wieder typisch Paulus, oder „friamente calculado“. Anschließend machten wir einen Spaziergang durch die Stadt und das Hafenviertel, an dem meine Universität
liegt. Ich zeigte ihm die Spezialität „Choripan“, eine aufgeschnittene Grillwurst (Worthersprung: CHORizo=Wurst, PAN = Brot). Sehr lecker! Die Hausparty die wir am Abend besucht hatten – bei der
v.a. Franzosen gegenwärtig waren – war anfangs eine ziemlich coole gelungene Feier, bis sie wegen einer Schlägerei um ein Mädchen ein abprubtes Ende fand. Deutsche waren übrigens nicht
verwickelt, sondern nur andere Mitteleuropäer – europäischen Ursprungs! (Traurig, dass man sowas heute immer dazusagen muss… :/). Tags darauf brachen wir gemeinsam in das Nordviertel Tigre auf,
ein Flussdelta. Einmal zuvor hatte ich es schon besichtigt, diesmal besichtigten wir aber auch den „Mercado de Frutas“ einen großen Handwerksmarkt. „Artesanal“, also handwerklich ist hier vieles.
Es gibt sehr viele solche Märkte, sehr viel solcher Biere… Abends fand ein Essen unserer Essensreihe auf dem Plan, diesmal war Sebastian dran. Es gab lecker Häppchen und Spaghetti
Bolognese.
Tags darauf nahm ich Fabi mit zu einem Lauf mit Maxime (wir hatten bereits den Halbmarathon gemeinsam bewältigt) und geschlaucht kamen wir alle drei zurück. Fabi hatte sich auf jeden Fall große
Blasen zugezogen^^ Sport ist Mord. Nach einem kurzen Besuch der „Feria San Telmo“, brachen wir gemeinsam auf zur Bootsparty, die von einer Studentenorganisation organisiert war. Anfangs fühlten
wir uns beide unwohl, da die meisten sehr alkoholisiert ankamen, wir jedoch nüchtern war. Das Klischee stimmt auf jeden Fall, dass viele Austauschstudenten zur Flasche greifen, ich zähle jedoch
nicht dazu. Ich muss eben immer anders sein
😉 Doch wir feierten trotzdem mit, war es doch schön bei Sonnenuntergang am Flussausleger mit dem Schiff zu stehen – mit Musik und guter Laune dazu. Es folgte schon der vorletzte gemeinsame
Tag, den wir in einem Besuch in La Boca, dem ursprünglichen Hafenarbeiterviertel, begingen. La Boca ist v.a. berühmt – und deshalb auch sehr touristisch – weil es viele bunte Häuser gibt und die
meisten aus Wellblech geformt sind. Ursrpünglich mittel zum Zweck, da Hafenarbeiter günstig an das Wellblech kamen. Schön anzuschauen ist es auf jeden Fall, dennoch vollgestopft mit Souvenirläden
und Tangotänzern, die Touristen für höllische Preise einen Tanz andrehen wollen. Unterwegs begegneten wir noch Messi und dem Papst Franziskus, was für ein Tag! Tags darauf habe ich ihm noch
Recoleta gezeigt, die Flor, das Juridicum und der bekannte Friedhof Recoleta. Dort musste ich wegen eines Seminars Fabi allerdings alleine lassen.
Ich genoss die gemeinsamen Tage mit meinem guten Freund Fabi auf jeden Fall, wir erkundeten gemeinsam die Stadt, Viertel, die auch ich noch nicht kannte und tauschten uns über die verschiedenen
Länder aus. Eines war jedoch anders, er hat sich vom Austauschstudium nicht so stressen lassen wie ich, er sah es gelassener, auch wenn die Dozenten ihm 100 Seiten als Hausaufgabe gaben. Ich
begleitete Fabian am Abend -nach einem gemeinsamen Asado- noch zum Flughafen und verpasste so leider die erste Hälfte des entscheidenden WM-Qualifikationspiel Argentinien vs. Ecuador. Zuvor hatte
ich mir noch ein Argentinien Trikto gekauft, um richtig mitfiebern zu können. Mein Motto für den Abend war: „Argentinien muss mit zur WM, damit sie dort wieder von Deutschland eingeschenkt
bekommen!“
„2x0.5=1“, war das Motto einer Feier, die bei mir stattfand. Es war der 9.10.2017, genau es war mein 23,5-ter Geburtstag. Zufällig hatte ich vor ein paar Wochen mit der Amerikanerin Hayden festgestellt, dass wir beide am gleichen Tag Geburtstag haben, aber nicht mehr hier sind. Deshalb kam uns die Idee gemeinsam einen Geburtstag zu feiern. Wir luden gemeinsam Freunde ein und es gab ein großes Buffet, zu dem jeder etwas beisteuerte. Ein cooler Abend, wo es sogar einen Geburtstagskuchen gab. Der Abend endete doch recht bald, da am nächsten Tag die meisten wieder studieren mussten..
Was die Woche sonst noch Anstand:
- Eine Besichtigung bei der Radiofunkstation, die sehr interessant war und bei der man einen super Blick über die Stadt hatte! (Im Rahmen des Kurses Radiofusión)
- Ein Salsakurs, bei dem ich mich mal wieder ziemlich blamiert habe
- Das Barrio Chino besichtigen 😊 – sehr interessant, wie die Chinesen hier ihre Kultur hergebracht haben
- Viel Laufen gehen, ich hoffe, ich halte das weiter durch!
- Eine Diskussion in der WG über Bildung und Prokrastination, ein Problem, das besonders die heutige Jugend kennt.
Was ich über Argentinien noch lernte:
- Wahlen sind verpflichten, sonst droht eine Strafe. Dennoch ist die Wahlbeteiligung niedriger als in Deutschland. Alles wird politisiert, überall gibt es Demos und Diskussionen, aber von der Wahl haben sie trotzdem keine Ahnung
- Hochschulmessen finden hier noch einfach in den Gängen statt ohne Probleme. Brandschutz wird hier auf jeden Fall nicht so groß geschrieben
- Die Argentinier drucken gerade neue Scheine. Zum einen größerer wegen der hohen Inflation, zum anderen politisch neutrale - nur mit Tieren. Hübsch sind sie aber, die neuen Scheine.
Das Thema Glauben und Kirche sollte ursprünglich eines der zentralen Fragestellungen und Themen werden, es ist jedoch komplett aus meinem Bild verschwunden. Ich war in keiner Messe bis jetzt, habe mir trotzdem aber viele Gedanken gemacht, versucht täglich ein Gebet zu sprechen, an Taize den Weltjugendtag oder Wien zu denken. Immer wieder mal suchte ich die Diskussion mit Mitstudenten, Freunden. Viele hatten überhaupt keinen Bezug, anderen ging es wie mir: „Ich habe sehr viele Zweifel“
Zum Schluss möchte ich noch auf den Youtube Kanal meines Freundes Silvi (Spanien) hinweisen, wo man viele Eindrücke aus dem Auslandssemester erhält und nebenbei noch spanisch üben kann! (https://www.youtube.com/channel/UCMK-V3UEQmUg-d4s_JlLomg)
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