Kapitel 9, Vers 3-5: "Loco" - Uruguay

Dass ich etwas verrückt ("loco") bin, wusste denke ich die Mehrheit schon länger. Dass ich etwas verplant bin, dürfte so jeder Leser wissen. Dass ich manchmal abwarte, statt zu entscheiden auch. Aber ich glaube genau das macht den Reiz an meinem Leben aus. Bevor ich nach Buenos Aires (BA – schon seltsam, ich verwende die gleiche Abkürzung wie für meine Bachelorarbeit) gegangen bin, bevor ich die Koffer gepackt hatte und bevor ich wusste, wo ich überhaupt schlafen bzw. wohnen werde, habe ich auf einer Busfahrt die Tickets für Montevideo gebucht, das ich am ersten Wochenende besucht habe.

 

Ich glaube auch meine Studienkollegen hier – aus USA, Irland, Frankreich, Deutschland und Brasilien – müssen mich von Anfang an für ganz verrückt gehalten haben. So kam ich am Mittwoch, den 5.7. früh um 7 Uhr am Flughafen an, nicht ganz ausgeschlafen – trotz 12h langer Nacht oder sogar länger – mit Jetlag im Gepäck (der mich doch mehr schlauchte als erwartet) und ohne jeglicher Orientierung mit Koffer und Backpack um 10.30Uhr im Unterrichtssaal erschien und sagte, ich mache jetzt im Spanischkurs mit. Ich hatte keinen Peil von nichts und noch nichtmal einen Wohnsitz. Durch das Reisen habe ich jedoch Leute aus BA kennen gelernt und die eine Familie hat mich netterweise anfangs aufgenommen – doch dazu im nächsten Artikel mehr. Und als es um das Wochenende ging, sagte ich: „Ich bin nicht da, da bin ich in Uruguay“. Um das ganze aber zu erklären: Eine Studienfreundin von mir aus Erlangen – an dieser Stelle Grüße an Vicky :) – war letztes Semester im Auslandsstudium in Montevideo. Das einzige Wochenende, wo ich schon da war und sie vor dem Reiseaufbruch noch da war, war eben dieses erste Wochenende am anderen Ende der Welt.

 

So ging ich am Freitag – nicht ohne zeitlich knapp davor noch eine Wohnung besichtigt zu haben – per Schiff nach Uruguay. Man muss dazu wissen, dass von Buenos Aires aus faktisch die nächsten Städte am anderen Ende des von den Porteños liebevoll genannten Ríos liegt, also in Uruguay.
Zwei Stunden davor sollte man laut Plan da sein – aber aufgrund meiner Informationsquellen wusste ich, dass das so nicht stimmt. Ich war also 1h15 davor da und hätte im Endeffekt locker noch ne halbe Stunde mehr Zeit gehabt. Da merkt man schon die kulturellen Unterschiede. In Deutschland wird gesagt: 30 Minuten davor da sein und Check-in und die Leute kommen großteils zwei Stunden davor, ist es hier eben andersrum. Damit die Menge an Menschen eingecheckt werden kann, muss eben zwei Stunden davor begonnen werden und damit überhaupt jemand 2h davor kommt, ist das halt eigentlich obligatorisch. Als ich dann in die Abfahrtshalle ging, ähnelte nichts den Schifftransporten, die ich sonst so kannte – wie z.B. zuletzt zu den Isles of Scilly. Es ähnelte alles mehr einem Flughafen. Es gab Checkinbänder, man wurde durchleuchtet, musste zur Ausweiskontrolle… So reiste ich also zwei Tage nach meiner Einreise nach Argentinien schon wieder aus, die Einreise in Uruguay wurde aber praktischerweise gleich mitgemacht. Probleme: Keine. Auch der Zugang zum Schiff ähnelte vielmehr einem Flughafen, denn so bestieg man das Schiff durch einen Rüssel, ohne nach draußen zu gehen, wo es die ganze Zeit eh nur regnete. Meiner Meinung nach haben die Architekten des Schiffes einen Fehler gemacht: Es gab nur Teppichboden, deshalb musste jeder Passagier sich so schöne Überziehschuhe anziehen. Eigentlich wollte ich die Schifffahrt nutzen, um in Reiseführern zu lesen oder Spanisch zu lernen, doch zu beiden kam es nicht, denn ich war einfach totmüde. Das einzige, was ich während der rund zweistündigen Überfahrt (mit buquebus.com) neben Schlafen noch gemacht hatte, war das Schiff zu inspezieren. So gab es an Board zwei „Duty-free-shops“, auf die sich die Passagiere nur so stürzten. Ist Schwarzarbeit in Argentinien eh schon ein ziemlich großes Problem, so wollen die Leute noch nichtmal beim Einkaufen Steuern zahlen. Dieser Shop ist aber nicht ein kleiner Souvenirladen o.ä., nein vielmehr ein vollausgestattetes, nicht zu kleines Kaufhaus. So gab es von Sportartikel über Kleidung für Frau ein reichhaltiges Sortiment an Alkohol. An Board bezahlte man übrigens in US-Dollar oder durfte einen saftigen Wechselkurs bezahlen. Zudem fand man eine nicht zu kleine Bar an Board. Alkohol lässt man sich hier auch nicht zu wenig schmecken.

 

Angekommen in Montevideo wurde ich von Vicky am Terminal abgeholt. Wir machten einen Abendspaziergang durch Montevideo (ja um 18.30h ist hier schon stockdunkel) und dabei gab es eigentlich nur zwei Themen: In Erinnerungen schwelgen an gemeinsamen Studienzeiten, die aufgrund Vickys Abschied aus Erlangen wohl eher nicht mehr weitergehen und das zweite presste ich sie über Erfahrungen aus und versuchte soviel Insider-Tipps wie möglich zu ergattern.
Am Abend gingen wir mit einem ihrer uruguayischen Freunden – zufällig auch Pablo – essen. Dabei fiel mir schon das erste auf: Warum trägt der die ganze Zeit eine Tasse und eine Thermoskanne mit sich – die wir ihm später liebevollerweise auch mal abnahmen? Verständnisprobleme gingen gegen null und ich fühlte mich noch mehr denn je gewappnet für das bevorstehende Abenteuer.
Die Erwartungen wurden getrübt – nicht viel später, als wir in der Bar namens „Bremen“ (man muss dazu wissen, Vicky kommt aus Bremen) weitere einheimische Freunde von ihr trafen. Die sprachen nämlich teilweise schon mit bedeutend krasseren Akzent. Dennoch hatten wir gemeinsam einen witzigen Abend in Bremen und es wurde spät.
Die Uruguayos („Uruguaschos“) bezeichnen sich selbst als die besseren Argentinier. Als Außenstehender erkennt man keinen Unterschied, wobei warte… Eine Sache ist hier doch legal. Also für mich sind die beiden sehr ähnlich, was sie auch selbst alle zugeben. Doch ein Argentinier meint, die sind der kleine Bruder von Argentinien und auch zurecht… Bei einer Diskussion beider Staaten möchte ich mal dabei sein. Das dürfte ungefähr so sein wie dir Franken und die Bayern :D

 

Ich übernachtete in einem Hostel, das wir spontan zuvor kurzfristig ausfindig gemacht hatten. Die Gastgeber waren sehr nett und ich hatte auch hier zu keinem Zeitpunkt Angst, dass mir was passieren würde. Warum erzählen also alle, dass es hier so gefährlich wäre? Das liegt wohl an der heutigen Zeit, wo man mit Angst Politik macht. Nachdem die Nacht lang war, schlief ich ein wenig länger, um kurz darauf mit dem Frühstück hier Bekanntschaft machen. Auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches: Toast, Butter, Marmelade, Kaffee, heiße Milch und irgendeine solche Creme, die ich erst nicht anrührte. Als ich doch neugierig wurde und sie probierte, wusste ich noch nicht, was es damit auf sich hat. Diese Karamellcreme schmeckte mir aber ziemlich gut.

 

Eigentlich wollten wir in das Fußballmuseum gehen, denn in Uruguay hat 1932 die erste von der FIFA ausgetragene Fußballweltmeisterschaft überhaupt stattgefunden und die Heimmannschaft wurde das erste Mal Weltmeister. Fußball ist ohnehin Thema Nummer eins hier, sogar noch mehr als in Argentinien. Doch das Museum hatte leider am Wochenende zu. Nach kurzem Plausch mit den Gastgebern im Hostel entschieden wir uns, einen Markt zu besuchen. Auch hier war alles nichts so außergewöhnliches, wenn man Märkte in Deutschland, Italien oder Spanien kennt. Gemüse und Obst und Klamotten, die auf den zweiten Blick gar nicht so billig waren. Ich musste immer in Euro umrechnen und das bei einem Wechselkurs von 1:28. Ein merklicher Unterschied war jedoch, dass nicht wie in Deutschland alles vorausgesucht war, sondern auch nicht-Top-Obst nach europäischen Krümmungsgrad versucht wurde zu verkaufen. Toll! Wir schlenderten aber gemütlich durch die Stände und entschieden uns aus frischen Gemüse gemeinsam etwas zu kochen.
Doch bevor wir uns an das Kochen machten, schauten wir noch in dem Kaufhaus vorbei. Das kannte Vicky auch noch nicht. Kurzentschlossen wie wir beide waren, kauften wir uns für umgerechnet ca. 30€ beide neue Schuhe, denn meine Alten hätte ich eigentlich aus Deutschland nicht mehr mitnehmen müssen (das nenne ich ressourcenschonend :D). Über die weiteren Shoppingerlebnisse wird stillschweigen gelassen, zumindest wollte Vicky nicht, dass ich darüber rede ^^. Nach einem schönen Spaziergang am wunderschönen Strand entlang, machten wir uns in Vickys Studentenbude ans Kochen. Als wir uns beide länger nicht entscheiden konnten, was wir mit dem Abend anfangen, machten wir uns bei den Facebookevents auf die Suche (wie haben das Leute eigentlich früher gemacht?!) und ich fand ein Improtheater, was ich eine ziemlich coole Idee fand. Zuvor jedoch machten wir noch einen ausgedehnten Spaziergang – es war schon wieder dunkel geworden – zu dem bekannten „Montevideo-Schriftzug“, um dort unsere Modellkünste auszuleben.
Am Abend gingen wir mit drei weiteren Studienfreunden von Vicky gemeinsam ins Improtheater, das so ziemlich anders ablief wie ich es kannte. – An dieser Stelle herzliche Grüße an meine Gruppe aus Erlangen „FAUst aufs Auge“! – Was war denn anders? Erstens war es in einem kleinen Keller mit kleinem Publikum, soweit so nett. Zweitens war das ganze in einem ziemlich unverständlichen Dialekt. Drittens hat das im Endeffekt nur ca. eine Stunde gedauert (Eintritt ca. 5€). Viertens waren es vier Schauspieler und eine Moderatorin, die man nicht auseinanderhalten konnte, außer an der Pfeife, die sie um den Hals hatte. Fünftens war Musik das wichtigste Element. So hat jede Szene mit Musik aufgehört und alle Darsteller tanzten auf der Bühne umher. Während kurzer Musikbreaks wurde so kurz wie möglich das nächste Spiel erklärt. Sechstens war nie das ganze Publikum zu Vorgaben gefragt, sondern nur spontan ausgewählte Personen. Siebtens war da noch mehr Musik. Und achtens war es einfach nur witzig, auch ohne alles verstanden zu haben. Eine witzige Erfahrung. Ich habe übrigens schon nach Improgruppen hier gesucht – aber bis jetzt leider noch keine Antwort bekommen :/. Danach ließen wir den Abend noch kurz in einer Bar ausklingen, die noch nicht komplett überfüllt war von Leuten. Der eigentlich gedachte Tanz und Discoabend musste aufgrund meiner Müdigkeit und Vickys Erkältung leider ausfallen.

 

Am nächsten Morgen suchte ich am Handy erstmal weiter nach Wohnungen in BA, um diese in den nächsten Tagen besichtigen zu können. Danach machten wir uns auf zum sonntäglichen Großmarkt mitten in der Stadt. Dieser war wahrlich gut besucht. Auch hier an der Hauptstraße war wenig anders, als bekannt. Na gut: andere Produkte, Matebecher und ganz viel Damenunterwäsche :D. Verhandeln war übrigens nicht so einfach und als nicht-deutscher musste man aufpassen, nicht zu arg übers Ohrgehauen zu werden, da die Preise locker mal das doppelte sein konnten.
Als man aber ein wenig in die abgelegenen Straßen des Markts kam, stellte sich die eigentlichen Unterschiede erst heraus. Leute versuchten alte Sitzgurte, alte Schuhe, altes Geschirr etc. vor einer Müllhalde und einer alles andere als sauberen Baustelle zu verkaufen. Hier trafen wir auch ein Mädchen, das einen Hahn dabei hatte (Das Bild will ich aus Achtung der Persönlichkeit hier nicht hochladen). Es war eine krass andere Erfahrung und endlich sah man mal die eigentliche Wirklichkeit und Probleme.
Danach machten wir uns noch auf in die große landwirtschaftliche Markthalle, die so auch in Spanien hätte stehen können. Beim Bäcker wollte ich verschiedene kleine Teilchen probieren ehe ich nun wirklich realisierte: Die füllen wirklich alles, ALLES mit „Dulce de leche“.

 

Nun musste ich auch schon wieder Abschied nehmen. Von Vicky. Von Montevideo. Von Uruguay. Zurück ging es in 2h Bus nach Colón ehe eine einstündige Schiffahrt auf mich wartete. Mit einem kleineren Dutyfreeshop. Ich schlief.

 

Funfacts Uruguay:

 

-          Montevideo hat trotz 1,3 Mio Einwohner keine „großen“ Wege

 

-          Es gibt keine Fußgängerampeln

 

-          Alle laufen mit Tasse und Matetee (inkl. Thermoskanne) herum

 

-          Sprechen sehr schnell

 

-          Schöner Strand

 

-          Ein wenig günstiger als BA

 

-          Jeder hat die Steckdose, auf die er Bock hat (was sind denn Normen?!)

 

-          Dulce de leche

 

Info Uruguay (Quelle: sollte man besser nicht angeben…)

 

-          Große Unterschiede zwischen armen und reichen Vierteln

 

-          Die höchste Alphabetiesierungsquote Lateinamerikas

 

-          Zweitgeringste Korruptionsrate Lat.Am.s (wie kann man das bitte messen?!)

 

-          Dritthöchster Entwicklungsstand Lat.Am.s

 

-          Beste Wohlstandsverteilung Lat.Am.s (geringste Schere zw. Arm und Reich)

 

-          Höchstes BIP pro Person Lat.Am.s

 

 

 

P.S. Das war Ausland #10 innerhalb 12 Monate
(Polen, Österreich, Slowakei, Italien, Spanien, Ungarn, Frankreich, England, Argentinien, Uruguay)

 

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